Die Angst und die Hoffnung des Propheten
							
																								
								1
								
									[Aleph.] Ich bin der Mann, der sein Elend sah unter seines Grimmes Rute.
								
							 
																								
								2
								
									[Aleph.] Mich drängte er und führte mich in Finsternis und nicht zum Lichte.
								
							 
																								
								3
								
									[Aleph.] Nur wider mich wendet er immer aufs neue seine Hand den ganzen Tag.
								
							 
																								
								4
								
									[Beth.] Er machte meine Haut und mein Fleisch altern, zermalmte mein Gebein.
								
							 
																								
								5
								
									[Beth.] Ringsum umbaute er mich und umgab mich mit Galle und Mühsal.
								
							 
																								
								6
								
									[Beth.] Er versetzte mich in Finsternis, gleich den auf ewig Toten.
								
							 
																								
								7
								
									[Ghimel.] Ringsum hat er mich ummauert, dass ich nicht entkommen kann; er hat meine Fesseln schwer gemacht.
								
							 
																								
								8
								
									[Ghimel.] Wenn ich auch rufe und bitte, er weist mein Gebet ab.
								
							 
																								
								9
								
									[Ghimel.] Er hat meine Wege mit Quadersteinen versperrt, meine Pfade verstört.
								
							 
																								
								10
								
									[Daleth.] Ein lauernder Bär ist er mir geworden, ein Löwe im Hinterhalt.
								
							 
																								
								11
								
									[Daleth.] Er hat meine Pfade in die Irre geleitet und mich zermalmt, hat mich trostlos gemacht.
								
							 
																								
								12
								
									[Daleth.] Er hat seinen Bogen gespannt und mich als Ziel für den Pfeil ausgestellt.
								
							 
																								
								13
								
									[He.] Er ließ in meine Nieren seines Köchers Töchter dringen.
								
							 
																								
								14
								
									[He.] Ich ward zum Gespött für mein ganzes Volk, ihr Spottlied den ganzen Tag.
								
							 
																								
								15
								
									[He.] Er sättigte mich mit Bitterkeiten und tränkte mich mit Wermut.
								
							 
																								
								16
								
									[Vau.] Er zerbrach mir die Zähne der Reihe nach, speiste mich mit Asche.
								
							 
																								
								17
								
									[Vau.] Verstoßen ist aus dem Frieden meine Seele, vergessen habe ich des Glückes.
								
							 
																								
								18
								
									[Vau.] Da sprach ich: Verloren ist mein Ziel, dahin meine Hoffnung auf den Herrn!
								
							 
																								
								19
								
									[Zain.] Gedenke meines Elends und meiner Verlassenheit, des Wermuts und der Galle!
								
							 
																								
								20
								
									[Zain.] Immer denke ich daran und meine Seele schmachtet in mir hin.
								
							 
																								
								21
								
									[Zain.] Dies will ich in meinem Herzen überdenken und daraufhin will ich hoffen.
								
							 
																								
								22
								
									[Heth.] Gnadenerweisungen des Herrn sind es, dass wir nicht ganz vernichtet sind, denn seine Erbarmungen bleiben nicht aus.
								
							 
																								
								23
								
									[Heth.] Neu sind sie an jedem Morgen, groß ist deine Treue.
								
							 
																								
								24
								
									[Heth.] Der Herr ist mein Anteil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn hoffen.
								
							 
																								
								25
								
									[Teth.] Gütig ist der Herr gegen die, die auf ihn hoffen, gegen die Seele, welche ihn sucht.
								
							 
																								
								26
								
									[Teth.] Gut ist es, schweigend auf die Hilfe Gottes zu harren.
								
							 
																								
								27
								
									[Teth.] Gut ist es einem Manne, wenn er das Joch von seiner Jugend an trägt.
								
							 
																								
								28
								
									[Jod.] Er wird einsam sitzen und schweigen, denn es ist ihm auferlegt.
								
							 
																								
								29
								
									[Jod.] Er berühre mit seinem Munde den Staub, vielleicht ist noch Hoffnung!
								
							 
																								
								30
								
									[Jod.] Er biete seine Wange dem dar, der ihn schlägt, werde ersättigt mit Schmach.
								
							 
																								
								31
								
									[Kaph.] Den nicht auf ewig verstößt der Herr.
								
							 
																								
								32
								
									[Kaph.] Denn wenn er auch verstieß, so erbarmt er sich doch nach der Fülle seiner Gnaden.
								
							 
																								
								33
								
									[Kaph.] Denn nicht aus Lust beugt er nieder und verstößt er die Menschenkinder,
								
							 
																								
								34
								
									[Lamed.] wie man unter seine Füße alle Gefangenen der Erde tritt,
								
							 
																								
								35
								
									[Lamed.] wie man das Recht eines Mannes beugt vor dem Angesichte des Allerhöchsten
								
							 
																								
								36
								
									[Lamed.] und eines Menschen Sache verkehrt, solches kennt der Herr nicht.
								
							 
																								
								37
								
									[Mem.] Wer ist es, der je sprach, dass etwas geschehen solle, ohne dass der Herr es geboten?
								
							 
																								
								38
								
									[Mem.] Geht nicht aus dem Munde des Allerhöchsten das Üble und das Gute hervor?
								
							 
																								
								39
								
									[Mem.] Was klagt also ein Mensch, so lange er lebt, ein jeder über seine Sünden?
								
							 
																								
								40
								
									[Nun.] Lasset uns unsern Wandel prüfen und erforschen und zu dem Herrn umkehren!
								
							 
																								
								41
								
									[Nun.] Lasset uns unsere Herzen und unsere Hände erheben zu dem Herrn im Himmel!
								
							 
																								
								42
								
									[Nun.] Wir haben gesündigt und zum Zorne gereizt, darum bist du unerbittlich.
								
							 
																								
								43
								
									[Samech.] Du hast dich in Grimm verhüllt und uns geschlagen, getötet ohne Schonung.
								
							 
																								
								44
								
									[Samech.] Du hast dich mit einer Wolke umhüllt, damit kein Gebet hindurchdringe.
								
							 
																								
								45
								
									[Samech.] Zu Kehricht und Auswurf hast du mich gemacht in Mitte der Völker.
								
							 
																								
								46
								
									[Phe.] Es sperren gegen uns ihren Mund auf alle Feinde.
								
							 
																								
								47
								
									[Phe.] Schrecken und Schlinge ward uns Weissagung und Verderben.
								
							 
																								
								48
								
									[Phe.] Wasserbäche vergießen meine Augen über das Verderben der Tochter meines Volkes.
								
							 
																								
								49
								
									[Ain.] mein Auge ist betrübt und hört nicht auf zu weinen, weil keine Linderung eintritt,
								
							 
																								
								50
								
									[Ain.] Bis der Herr vom Himmel herabschaut und dareinsieht.
								
							 
																								
								51
								
									[Ain.] Mein Auge hat mir die Seele genommen ob aller Töchter meiner Stadt.
								
							 
																								
								52
								
									[Sade.] Es machten Jagd auf ich und fingen mich wie einen Vogel die, welche meine Feinde ohne Ursache waren.
								
							 
																								
								53
								
									[Sade.] In die Grube ward mein Leben versenkt, sie wälzten einen Stein über mich.
								
							 
																								
								54
								
									[Sade.] Es strömten die Wasser über mein Haupt zusammen, ich sprach: Ich bin verloren!
								
							 
																								
								55
								
									[Koph.] Ich rief deinen Namen an, o Herr! aus tiefster Grube.
								
							 
																								
								56
								
									[Koph.] Du hörtest mein Rufen: O wende dein Ohr nicht ab von meinem Seufzen und von meinem Klagen!
								
							 
																								
								57
								
									[Koph.] Du warst mir nahe am Tage, da ich dich anrief; du sprachst: Fürchte dich nicht!
								
							 
																								
								58
								
									[Resch.] Du führtest, Herr! die Sache meiner Seele, Erlöser meines Lebens!
								
							 
																								
								59
								
									[Resch.] Du hast gesehen, Herr! wie sie mir Unrecht taten; schaffe mir Recht!
								
							 
																								
								60
								
									[Resch.] Du hast all ihren Grimm gesehen, all ihre Anschläge wider mich,
								
							 
																								
								61
								
									[Sin.] Du hast ihr Schmähen gehört, o Herr, alle ihre Anschläge wider mich,
								
							 
																								
								62
								
									[Sin.] die Reden meiner Widersacher und ihr Trachten wider mich den ganzen Tag.
								
							 
																								
								63
								
									[Sin.] Sie mögen sitzen oder aufstehen, siehe, so bin ich ihr Spottlied.
								
							 
																								
								64
								
									[Thau.] Vergilt ihnen, Herr! nach den Werken ihrer Hände.
								
							 
																								
								65
								
									[Thau.] Gib wie einen Schild um ihr Herz Bedrängnis von dir.
								
							 
																								
								66
								
									[Thau.] Verfolge sie mit Grimm und tilge sie hinweg unter dem Himmel, o Herr!